In vielen Unternehmen beginnt Veränderung dort, wo sie besonders sichtbar wird: in der Produktion. Prozessoptimierungen steigern die Effizienz, die Linien laufen besser, kürzere Umrüstzeiten, weniger Ausschuss, höhere Taktzahlen, mehr Gewinn.
Allerdings hat eine solche Prozessverbesserung oft auch eine Kehrseite: Denn auf die gestärkte Produktion trifft zum Beispiel eine technische Abteilung, die noch nicht mitgewachsen ist.
Was passiert dann?
Die Erfolge auf der einen Seite erzeugen Druck auf andere Bereiche im Unternehmen – und dann haben Sie den Salat bzw. einen unguten Kreislauf: Denn der schlagkräftige Bereich kann seine Potenziale nicht mehr ausschöpfen, weil ihn der weniger schlagkräftige Bereich bremst. Das ist nicht anders, als wenn ich für die neue Skisaison nur ein Bein trainieren würde, schneller macht mich das nicht.
Wachstumsschmerzen angehen
Um bei dem Beispiel einer technischen Abteilung zu bleiben, wir merkten schnell, was im Argen ist: Probleme wurden ad hoc gelöst – denn es fehlte an Struktur, Klarheit und langfristiger Stabilität. Statt geplanter Instandhaltung dominierte das Reagieren auf Störungen. Ersatzteile? Oft improvisiert. Zuständigkeiten? Unklar.
Typische Probleme eines schnellen Unternehmenswachstums, bei dem die Prozessorganisation nicht mitgewachsen ist. Die technische Abteilung arbeitete primär auf Zuruf, berufsfeldorientiert und nicht prozessorientiert.
Wir haben deshalb gemeinsam mit den Beteiligten ein neues Organisationsdesign, eine Prozessstruktur, entwickelt: Wartung, Inspektion, Instandsetzung, Ersatzteilmanagement – alles bekam seinen definierten Platz.
Das Entscheidende dabei: Wir entwickelten das organisatorische Design „ohne Namen“. Wir wollten erst wissen, welches Prozessdesign zur Wertschöpfung passt, bevor wir uns um Namen, also um die Menschen, die dann in diesem Prozess arbeiten sollen, kümmern: Erst als wir die Prozesse definiert hatten, haben wir Rollen definiert und geschaut, wer diese Rollen am besten ausfüllen kann: Und zwar nicht nach Bauchgefühl, sondern entlang von Stärkenprofilen. Nun war dann der perfekte Zeitpunkt gekommen, um die Belegschaft ins Boot zu holen – und mit dem „Maria-Riesch-Effekt“ bekannt zu machen.
Der „Maria-Riesch-Effekt“
Maria Riesch, oder um korrekt zu sein: Maria Höfl-Riesch, ist eine der besten deutschen Skiläuferinnen aller Zeiten. Vor dem Start auf die Strecke haben Trainer und Skiläufer die Möglichkeit, von der Seite aus den gesteckten Kurs zu begutachten. Maria Riesch wurde dann für mich so eindrücklich, dass ich unser Vorgehen nach ihr benannte, weil sie vor dem Start, in der Schlange der bald Abfahrenden vor dem Starthäuschen, die Augen schloss: Und dann bewegte sie sich hin und her, ich konnte richtig sehen, wie sie geistig die Strecke abfuhr. Hier ist Eis, dort ist der Kurs eng gestreckt … Bevor sie den Berg hinunterfuhr, war sie geistig bereits zigmal durch den Kurs gefahren. Sie kannte jedes Tor. Diese mentale Vorbereitung hat ihr geholfen, im entscheidenden Moment die Kontrolle zu behalten.
Genau das übertragen wir auf die Mitarbeiter, wenn wir zusammen daran gehen, ausgehend vom Orga-Design die Ablaufstruktur zu bauen: Das machen wir gewissermaßen auch neben der Strecke, denn wir machen es auf „weißem Papier“, nicht im Betrieb selbst. Gemeinsames Denken, echtes Mitmachen. Wie können wir die Abläufe verbessern? Wer redet mit wem, wie laufen die Informationen, was sind standardisierte Tagesabläufe, welche standardisierten Führungsaufgaben gibt es?
Das machen wir genau mit den Menschen, die in dieser neuen Organisation tätig sind. In unterschiedlichen Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen Themenstellungen.
So entsteht ein Prozess, den die Mitarbeiter schon etliche Mal im Geiste durchfahren haben, bevor es dann wirklich auf die Piste, in den Betrieb geht. Der Effekt, den dieser „Maria-Riesch-Effekt“ bei der Belegschaft hat, ist dann schon immer spannend und befriedigend: „Am Anfang dachte ich, das klappt nie – aber es läuft.“ Intern nennen wir das den „War doch gar nicht so schlimm“-Moment.
Auch skeptische Stimmen („Ganz schön viel.“, „Boah Mensch, wenn das in die Hose geht?“, „Wir sind doch mitten in der Produktion, das geht gerade nicht!“) verstummen, wenn sie merken: Ihre Perspektiven wurden ernst genommen – und sie haben das Ergebnis mitgeprägt, die Ideallinie gesucht.
Systematisch und methodisch nehmen Sie so nicht nur den Druck aus Ihrer Organisation raus, der zum Beispiel durch das schnelle Unternehmenswachstum entstanden ist. Auf diese Weise brauchen Sie auch kein „Jetzt müssen wir die Organisation abholen“, Sie müssen Ihre Leute nicht mehr schulen. Sie haben ein Team, das motiviert und gekonnt im Prozess unterwegs ist.
Ihr Wilfried Weber