„22. Ist das zu fassen? 22!“ Ich war bei dem Unternehmer im Betrieb, um mit seinen Führungskräfte zu arbeiten. Ein knackevoller Tag in Norddeutschland. Auf einen Kaffee in sein Büro zu schneien, ließ ich mir aber nicht nehmen, schließlich kannten wir uns schon Jahre. Und erlebte den gestandenen Unternehmer, einen naturruhigen, gelassenen Charakter, aufgebracht. Sehr aufgebracht. Er konnte von dieser Zahl nicht lassen, die er, Minuten bevor ich mit zwei Kaffee in den Händen hereinkam, gelesen hatte.
„Sogar 22,5 – mindestens! Steht da!“
Was ihn so aufregte, stand in einem schon ein wenig älteren Zeitungsartikel, den ihm ein Kollege per Mail geschickt hatte. Es ging um den notwendigen Neubau der Köhlbrandbrücke in Hamburg, einen der meistbefahrenen, für den Güterverkehr bedeutendsten Verkehrswege Deutschlands. Im Juni 2012 hatte Olaf Scholz, damals noch Erster Bürgermeister der Hansestadt, bekannt gegeben, dass die Brücke abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden soll. Die alte Brücke wurde nach einer Planungs- und Vorbereitungsphase von sechs Jahren innerhalb von nur vier Jahren von 1970 bis 1974 gebaut. Die neue Brücke soll – „Soll!“, ächzte er – bis 2046 fertiggebaut sein. „In 22 Jahren! Und wie kommt das?“
Er nippte an seinem Kaffee, um zum eigentlich Grund seiner Aufregung zu kommen:
„Denen geht es wie uns. Die ersticken in Bürokratie! Es geht einfach nichts mehr voran!“
Bürokratie, die frustriert
Bürokratie – das Wort allein reicht oft aus, um Unternehmer, je nach Charakter, in Schockstarre oder in Aufruhr zu versetzen.
Ich treffe mich und spreche im Laufe eines Jahres mit etlichen Firmenleitern und Führungskräften, und meine Beobachtung ist: Die Stimmung wird immer schlechter. Vor allem auch bei den mittelständischen Unternehmen. Die Entscheider sind völlig frustriert, weil sie nicht mehr wissen, wie sie in dem Bürokratie-Dschungel noch unternehmerisch vorankommen sollen.
Ihre Lage ist in den letzten Jahren eh immer schwieriger geworden. Die Firmen sind nicht mehr so ausgestattet, dass sie freie Ressourcen hätten. Oft sind sie, um über die Runde zu kommen, personell auf ein Minimum runtergefahren, eh schwer genug, Fachkräfte zu finden, dem Kostendruck, den Energiekosten etc., mit Lösungen zu begegnen. Die Unternehmen haben keine Kapazitäten, um der Bürokratie das zu geben, was die Bürokratie will. Und was die Bürokratie will, dass sind ja zum Teil echte Brecher ….
Bürokratie, die lähmt
Schauen Sie sich nur das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz an. Dem werden Sie nicht mal eben zwischendurch gerecht. Oder die EU-Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten. Rechtlich können Sie sich da Tod und Teufel ins Unternehmen holen, wenn Sie das nicht richtig machen. Die Nachweise, die Zertifikate nicht bringen. Das alles kostet enorm viel Geld und Manpower. Und beides ist nicht in diesem Überfluss vorhanden, um die Gier des gefrässigen Bürokratie-Monsters zu stillen.
„Wer hat sich das wieder einfallen lassen?“ Solche Fragen sind immer Thema in den Unternehmen und die Hilflosigkeit wächst, weil an dieser Bürokratie kein Weg vorbeizuführen scheint.
Was denken Sie?: Welche Berufsgruppe ist in Deutschland unter den Beamten, die die Bürokratie am Laufen und Wachsen halten, am meisten vertreten? Die Juristen. Keine Menschen, denen es um Wertschöpfung geht. Um die Arbeitsplätze. Um die deutsche Wirtschaft und deren Konkurrenzfähigkeit zu anderen Ländern.
Und selbst wenn ich gute Absichten unterstelle, mit der Praxis haben diese Bürokraten nichts zu tun. Und so bleibt die Wertschöpfung auf der Strecke, weil die Bürokratie alle produktiven Geister lähmt. Weil alle Unternehmen aus Ländern, in denen freier agiert werden kann, im Vorteil sind und uns vom Markt drängen.
Sehe ich mir das ausufernde Bürokratie-Unwesen an, dass selbst die Ruhigen unter den Unternehmen laut werden lässt, dann glaube ich nicht, dass wir noch 22 Jahre haben, um die Kurve zu kriegen und unsere Bürokratie auf eine vernünftiges Maß zu stutzen. Da muss sich was ändern, bevor die neue Brücke in Hamburg steht.
Ihr Wilfried Weber